Kommentar zu Patrick Illinger, „Der echte Darwin“
Süddeutsche Zeitung vom 31.01.2009,
Man kann, grob gesprochen, drei Haltungen zur Evolutionslehre haben: Erstens, man kann die Evolutionslehre ablehnen. Ersetzt wird die wissenschaftliche Theorie dann gegen Richtungen, die man als „Kreationismus“ oder „Intelligent Design“ bezeichnen kann. Es ist selbstredend völlig legitim, solche Behauptungen aufzustellen. Alle wissenschaftlich anerkannten Theorien haben so begonnen. Dogmen eignen sich jedoch nicht als Beweise. Darum ist diese erste Haltung zur Evolutionslehre abzulehnen: „Kreationismus“ und „Intelligent Design“ sind keine Theorien im wissenschaftlichen Sinne, sondern sie sind ein Konglomerat aus unbewiesenen, oder nicht zu beweisenden Behauptungen, die im wesentlichen auf die wortgetreue Auslegung einer Glaubensschrift beruhen oder zumindest durch solche Schriften motiviert sind. Ohne diese Glaubensbasis brechen diese Behauptungen in sich zusammen. Jeder vernünftige Mensch, der sich in offener Vorgehensweise mit Wissenschaften beschäftigt und die wissenschaftliche Methodik verstanden hat, muß zu dem gleichen Schluß kommen.
Die zweite Haltung zur Evolutionslehre steht der ersten diametral gegenüber: Die Evolutionslehre ist zu akzeptieren; eine Erklärung der Entwicklung des Lebens aus religiöses Prinzipien heraus wird abgelehnt. In der Tat benötigt das moderne wissenschaftliche Bild der Welt keinen Gott oder göttliche Prinzipien. Das heißt nun nicht, die Wissenschaft habe keine offenen Fragen mehr. Aber es hat sich gezeigt, daß zu keiner wissenschaftlichen Theorie je ein Bezug zu einem transzendenten Wesen oder Prinzip nötig war. Diese zweite Haltung erkennt das wissenschaftliche Prinzip als einzige Möglichkeit an, wie wir Menschen die Welt begreifen können, aufgrund oder trotz unserer prinzipiell eingeschränkten Erkenntnisfähigkeit. In der Evolution ist kein Platz für einen aktiven Gott, der in das Weltgeschehen eingreift, denn dieses Eingreifen müßte wissenschaftlich erkennbar sein.
Die dritte der verbreiteten Haltungen versucht eine friedliche Koexistenz von Wissenschaft und Religion: Die Evolutionstheorie ist, im wissenschaftlichen Sinne, wahr und somit anzuerkennen. Von dieser wissenschaftlichen Welt ist jedoch die Welt des Religiösen abzutrennen, beide Erklärungsweisen haben eine Daseinsberechtigung, jede in ihrem eigenen Bereich. Hier geht es natürlich nicht mehr nur um Darwin, hier geht es um das Verhältnis von Wissenschaft und Religion im Allgemeinen. Zwingend für diese Haltung ist natürlich, die zugrundeliegenden Glaubensschriften, die, wörtlich genommen, offensichtlich der Evolutionslehre widersprechen, umzudeuten als Texte, die man nur im übertragenen Sinne verstehen kann. Die Bibel oder der Koran sind somit keine Bücher, die im wissenschaftlichen Sinne zu interpretieren sind, sondern sie wollen nur die prinzipiellen Glaubensinhalte und -verhaltensweisen in Bildern wiedergeben. Dies ist im Prinzip eine sinnvolle, gemäßigte Glaubenshaltung. Nur, es drängt sich natürlich sofort die Frage auf, wie weit diese Verbildlichung zu sehen ist: Die Erschaffung der Welt in sieben Tagen, Adam und Eva – natürlich, ein Bild. Die Kreuzigung Jesu – auch ein Bild? Man sieht, dieser Übereinkunft eines Waffenstillstandes zwischen Religion und Wissenschaft ist es inhärent, daß die Grenzlinie mit jeder neuen wissenschaftlichen Erkenntnis stetig weiter verschoben wird, hinein in das Gebiet des Glaubens. Erst wenn jegliche wissenschaftlich überprüfbare Aussage der Religion nur noch als Bild gesehen wird, kann Friede herrschen. Und die prinzipiell letzte wissenschaftliche Aussage einer Religion, die an einen aktiven Gott glaubt, ist der Glauben daran, daß dieser Gott in das Weltgeschehen eingreift. Ein solch passiver Gott aber wäre der Todesstoß für die meisten großen und kleinen Religionen. Denn wenn Gott nicht eingreift, ist auch jeglicher Kult, der auf das Diesseits abzielt, völlig unnötig.
Patrick Illinger möchte nun offensichtlich, da schon seine Unterschrift „Warum Evolution nicht im Widerspruch zur Religion steht“ lautet, die dritte Haltung einnehmen und in seinem Kommentar diese Grenzlinie zwischen Religion und Wissenschaft ziehen, die eine friedliche Koexistenz beider erlaubt.
Zu anfangs stellt er dar, daß Darwins Thesen oft verfälscht und mißbraucht wurden. Dies ist offensichtlich richtig, man braucht hier nur an den Sozialdarwinismus zu denken.
Er stellt ferner fest, daß Darwin nicht in Einklang zu bringen ist mit einem „naiven Gottesbild, in dem der Schöpfer […] pausenlos an jeder Weggabelung der biologischen Artenbildung Hand anlegt.“. Dies ist eine offensichtliche Feststellung. Er schränkt jedoch ein: „Ob die ganze Sache am Anfang von einem Schöpfer entzündet wurde oder lediglich eine Folge universaler Naturgesetze ist, ist eine andere, dem menschlichen Erkenntnisdrang grundsätzlich nicht zugängliche Frage.“
Daraus schließt er, daß man dem Atheisten Richard Dawkins, den er ebenso wie Kreationisten als „Extremisten“ bezeichnet, mit Skepsis gegenüber treten sollte. Nun, Skepsis ist prinzipiell immer eine gute Einstellung, wenn man die Wahrheit herausfinden möchte. Es ist auch gut, wenn Illinger betont, daß der Mensch auch als reines Produkt der Evolution sein Selbstwertgefühl nicht verlieren müsse. Nur zu seiner These, der Parallelität von Evolution und Religion, sagt er nichts mehr Weiteres; Thema verfehlt. Er geht nicht darauf ein, wo noch der Spielraum eines Gottes hinsichtlich der Evolutionstheorie sein könnte. Hat Gott die erste Bakterie kreiert? Oder den Affen Feuer gegeben? Oder degradiert die Evolutionstheorie Religion zum bloßen Jasager, zum Schöpfer, der die Welt anschließend sich selbst überläßt? Es wird nicht klar, wo er die Grenze zwischen Religion und Wissenschaft ansetzt, und somit bringt er auch kein Argument für eine Vereinbarkeit von Religion und Wissenschaft. Wie so oft in solchen Diskussion, so rettet auch er sich mit der prinzipiellen Unbegreiflichkeit Gottes und zitiert Nicolaus Cusanus: „Gott steht als Verborgener jenseits unserer Fassungskraft“. Von einem verborgenen Gott zu einem überflüssigen Gott ist es da nur noch ein kleiner Schritt.
In der gleichen Druckausgabe der Süddeutschen, sogar auf der gleichen Seite, findet sich übrigens der Artikel „Der zaghafte Revolutionär“ (http://www.sueddeutsche.de/wissen/44/457701/text/) von Christopher Schrader. Der fast ganzseitige Beitrag erzählt objektiv und gut geschildert das Leben von Charles Darwin und seine großen wissenschaftlichen Erfolge. Es entsteht ein lebendiges Bild von Darwin und seinen Zeitgenossen.