Ich lese gerne die Kolumne „Die Gewissensfrage“ im Magazin der Süddeutschen Zeitung. In der Ausgabe vom 1. Oktober 2010 beantwortet der Autor Rainer Erlinger die Frage (SZ-Magazin), ob man als Vater gegen ein Schweinefleischverbot in einem evangelischen Kindergarten protestieren dürfe, welches dort aus Rücksicht gegenüber muslimischen Kindern ausgesprochen wurde.
Rainer Erlinger führte mehrere Punkte an, warum aus seiner Sicht der Verzicht auf Schweinefleisch hingenommen werden sollte. Für mich nachvollziehbar ist die ethische und medizinische Argumentation: Eine Reduzierung des Fleischkonsum ist gut für die Umwelt und die Gesundheit. Auch ich halte dies für vernünftig, bin allerdings kein Vegetarier.
Nicht nachvollziehen kann ich Rainer Erlingers Antwort, wenn er versucht, die Verbindung zu religiösem Kontext herzustellen. Zum einen ist aus der Fragestellung heraus nicht ersichtlich, ob der fragende Vater oder sein Sohn evangelische Christen sind. Es könnte also durchaus sein, daß eine religiöse Argumentation den Fragenden gar nicht interessiert.
Wie auch immer, Erlinger erwähnt sein Treffen mit Wolfgang Huber, dem den früheren Ratsvorsitzenden der EKD. Dieser nun argumentiert mit der Bibel: Christen sollten aus Nächstenliebe Rücksicht üben und auf Fleischkonsum verzichten. Ich frage mich an dieser Stelle: Muß man Kinder schon zur Nächstenliebe zwingen, indem man ihnen keine Wahl läßt, ob Schwein oder Rind?
Wirklich dubios wird Erlingers Argumentation aber spätestens dann, wenn er schreibt: „Vielleicht sollte der Kindergarten auch noch Kinder aufnehmen, die buddhistisch, hinduistisch oder im Jainismus erzogen werden. Dann wären vermutlich einige darunter, die aus religiösen Gründen vegetarisch leben und konsequenterweise würde zu Mittag vegetarisch gekocht.“
Aha. Erlinger äußert sich mit der Wortwahl „Dann wären vermutlich einige darunter [..]“ bewußt vorsichtig. Zurecht: bei meinem letzten Besuch in einem indischen Restaurant gabe es durchaus einiges an Fleisch, und auch bei meinem Rundgang um den Poatala-Palast (siehe Bild) wird offensichtlich, daß Buddhisten nicht ausnahmslos Vegetarier sind; im übrigen auch Tendzin Gyatsho nicht, der aktuelle Dalai Lama. Ich empfehle, mal ein paar der blutrünstigen Darstellungen in manchen tibetischen Tempeln anzusehen. Auch am Bild zu diesem Artikel ist ersichtlich: so sehr viel Rücksicht wird da nicht genommen auf die vegetarische Bevölkerungsgruppe. Nebenbei: meine vegetarischen Freunde und Kollegen haben sich noch nie über meinen Fleischkonsum beschwert. Wenn ich ein Gericht für Freunde zubereite, achte ich natürlich im auf eingeladene Vegetarier.
Weiterhin finde ich es seltsam, daß Erlinger den Kindergarten dazu ermuntert, Kinder mit anderen Religionen aufzunehmen. Der Autor will dies sicherlich nicht implizieren, aber es wird hier doch implizit der Eindruck erweckt, der Kindergarten würde dies bisher nicht tun. Diese Aussage entbehrt meines Erachtens jede Grundlage. Vielleicht gibt es in dem Kindergarten schon längst sich vegetarische ernährende Kinder? Jeder Kindergarten kann nur die Kinder aufnehmen, die um Aufnahme bitten.
Darüber hinaus zeigt der Artikel wieder einmal engstirnige Sicht und Konzentration auf die religiösen Aspekte. Erlinger begeht hier den gleichen Fehler wie Bundespräsident Wulff, für den Atheisten offensichtlich nicht zu „Allen Deutschen“ gehört (Michael Schmidt-Salomon, hpd). 34,6% der Deutschen sind inzwischen konfessionsfrei (fowid). Warum nicht den Appell an den Kindergarten richten, doch mehr Atheisten aufzunehmen? Darunter sind vermutlich auch einige Vegetarier.
Bild: Rechte liegen beim Autor.
da hasst du vollkommen recht
etwas spät (schließlich ist der Artikel schon älter, aber ich bin nun erst auf deinen Blog gestoßen). Das hauptproblem an halal oder koscherer Kost ist, dass es oft vorkommt, dass Tiere bei vollem Bewusstsein geschächtet werden (einige liberalere Religiöse Autoritäten lassen Elektrokurzzeitbetäubung zu, aber das ist nicht verplfichtend, kann aber durchgeführt werden). Trotz immer wieder gegenteiliger Argumentation von religöser Seite gibt es m.W. keine tierärztliche Vereinigung in den westlichen Ländern, die unbetäubtes Schächten gut heißen würde und alle neueren Forschungsergebnisse sprechen gegen unbetäubtes Schächten.
Im übrigen essen die Sikhs, die Fleisch essen (viele praktizierende Sikhs sind vegetarier), in der Regel kein Fleisch, das nach den Vorstellungen einer anderen Religion hergestellt wurde (also weder halal noch koscheres Fleisch).
Was Hindus angeht: viele Hindus (nicht alle) sind vegetarier und den hinduistiscehn nichtvegetariern ist in der Regel gemein, dass sie kein Rind essen. Die indische Küche beschränkt sich allerdigns nicht nur auf hinduistische oder jainitische Küche, sondern ist gerade im Norden auch sehr muslimisch und es gibt dann noch eine christliche Minderheit, die keine Speisegebote befolgt. Selbst wenn du nicht weißt, ob dein indisches Restaurant halal ist oder nicht, mit einem Blick auf das Menu erahnen, welcher Küche es folgt.
Welche der buddhistischen Konfessionen überwiegend oder zwingend vegetarisch sind oder welche Konfessionen das sind, weiß ich allerdings nicht.