In den letzten Jahren konnte man feststellen, daß es selbst im bayerischen Rundfunk nicht immer nur christlich und christsozial zugehen muß. Im Gegenteil, z.B. mit „Quer“ von Christoph Süß gibt es aufgewecktes, frisches Fernsehen.
Allerdings gibt es im Bayerischen Rundfunk auch die Sendung „Katholische Welt“. Hans-Joachim Türk hat am 3. Januar 2010 auf Bayern 2 (Mediathek, Skript ) einen Beitrag zur „Wiederkehr des klassischen Atheismus“ veröffentlicht, der keinen Zweifel an dem Standpunkt der Sendung läßt: Pro Kirche, kontra Atheismus. Nun ist die Stellungnahme für die Kirche prinzipiell natürlich in Ordnung; der Beitrag von Hans-Joachim Türk stößt allerdings durch seine polemische Machart auf. Schon der Titel “Wiederkehr des klassischen Atheismus“ unterstellt, daß der Atheismus „abwesend“ gewesen sei. Tatsächlich ist es eher so, daß in den letzten Jahrzehnten das Thema Religion für viele Konfessionslose, Agnostiker und Atheisten nicht interessant war. Erst mit dem (scheinbaren?) Aufblühen von Religiosität auch im säkularen Europa tritt daher atheistisches Gedankengut wieder in die Schlagzeilen. Vorher hat es wohl schlicht und einfach niemand für nötig gehalten, Offensichtliches zu nennen.
Der Beitrag beginnt mit der Erwähnung von „kämpferischen Atheistenverbänden“. Schön. Wieder ein neues Attribut, neben „aggressiv“ und „militant“ nun „kämpferisch“. Aber ich muß zugeben – passend. Aber auch Türk verwendet später in seinem Beitrag das unterstellende Attribut „militant“. Militant mögen Gotteskämpfer sein, die Unschuldige durch Selbstmordattentate ermorden. Atheisten, die einzig öffentlich und eindeutig für ihr Weltbild eintreten, als „militant“ zu bezeichnen, ist eine böswillige Unterstellung.
Hans-Joachim Türk behauptet, daß die Zahl der Atheistenvereine und „bekennende[n] Atheisten“ „erheblich“ zurückgegangen sei. Was ist ein „bekennender Atheist“? Der Autor unterstellt, daß durch ein mangelndes öffentliches Bekenntnis zu einem Weltbild die Zahl der Unterstützer zurückgegangen sei. Wie oben geschrieben – dies kann auch daran liegen, daß niemand die Notwendigkeit einer öffentlichen Diskussion sah, da das Thema als erledigt schien.
Im folgenden zieht Hans-Joachim Türk über Richard Dawkins her. Er sieht in Dawkins eine Erklärung für die aktuellen Diskussionen zum Atheismus. So sehr ich Dawkins’ Meinung und seine Veröffentlichungen gutheiße und unterstütze: dies ist eine Unterschlagung vielen aktiven Atheisten und Agnostikern auch in Deutschland, nicht zu vergessen die Verbände der Konfessionslosen. Ohne Deschner und Schmidt-Salomon wäre die deutsche atheistische Landschaft heute nicht das, was sie ist.
Türk zitiert Herbert Schnädelbach: „Bei näherem Hinsehen erweist sich ‚Atheismus‘ als ein ziemlich undeutlicher Sammelbegriff, und darum fällt es schwer, ihn durch eine einfache Definition zu fassen. Manchmal trifft man noch auf die Vorstellung, die Atheisten seien Gegner Gottes, also Anti-Theisten, aber das ist ein Widerspruch, denn um gegen etwas sein zu können, muß man voraussetzen, daß es existiert. Das führt zu der erheiternden Erkenntnis, daß es eigentlich keine Atheisten gäbe, wenn es Gott nicht gäbe.“
Hach, wie spaßig. Offensichtlich versteht Türk die aktuellen Absichten der Konfessionslosen nicht: Es geht nicht um ein Vertreiben der Religionen, sondern für den Erhalt aufklärerischen, rationalen Gedankenguts.
Türk führt weiterhin Robert Spaemann an, nach dessen Ansicht die Beweislast für die Nichtexistenz eines Gottes bei den Atheisten liegt. Auch gut. Dann soll die katholische Kirche doch mal beweisen, daß Zeus, die Offenbarung der Mormonen, Cargo-Kulte und der große Arkelanfall falsche Konstrukte sind (ok, ich darf doch auch mal polemisch sein 😉 ).
Seitens einer empirischen Weltsicht ist jedoch eindeutig: wer eine Theorie aufstellt, muß diese auch mit guten Argumenten und Daten belegen. Ohne diese Vorgehensweise können wir Diskussionen gleich von vornherein vergessen.
In einem Absatz geht Türk kurz auf den „kämpferischen Kreationismus“ ein. Schön – nicht nur die Atheisten sind kämpferisch. Aber die Wortwahl suggeriert natürlich: Atheisten und Kreationisten – das sind doch alles die gleiche Brut. Aber halt – Atheisten sind ja auch „militant“ – uns muß man also mehr fürchten!
Dem Autor zu Gute halten muß man, daß er eine wörtliche Interpretation von Glaubensinhalten ablehnt. Für ihn können Religion und Naturwissenschaft parallel existieren. Dies ist in meinen Augen ein durchaus pragmatisches Weltbild. Allerdings kann ich dem nicht zustimmen: Jede Religion, die an mindestens einen Gott glaubt, lebt davon, daß dieser Gott, auf welche Art und Weise auch immer, in das Weltgeschehen eingreift. Tut er dies nicht, ist er schlichtweg überflüssig. Tut er es aber, handelt er im Widerspruch zu den Naturgesetzen. Eine strikte Trennung von Glaube und Wissenschaft ist also zwar eine gute Lösung, um eine gemeinsame, friedvolle Basis für gemeinsames ethisches Handeln zu finden, letztendlich ist eine solche Trennung allerdings generell nicht möglich.
Der Autor des Beitrags geht auch auf das Theodizeeproblem ein: woher stammt das „Böse“ in der Welt? Er zitiert hierzu Gerhard Lohfink:
„Ist mit Auschwitz die Gottesfrage nicht eben doch erledigt? Hätte Gott – wenn es ihn gibt – nicht das Schicksal der wehrlosen Kinder, Frauen und Greise, die in die Gaskammern getrieben wurden, das Herz zerreißen müssen? […] Die Antwort kann nur lauten: Gott handelt durch Menschen. Durch Menschen, die an ihn glauben, die von seinem Geist ergriffen sind und vor Diktatoren keine Angst mehr haben. Leider waren es zu wenige, die auf diese Weise Gott handeln ließen. Hat also Gott nicht gehandelt? Nein, die Christen in Deutschland haben in ihrer Mehrheit nicht gehandelt. Hat Gott geschwiegen? Nein, die Christen haben geschwiegen.“
Ohne das Türk es merkt, hat er in seiner Argumentationskette der Religion die Basis entzogen: Ein in die Welt eingreifender Gott steht im Gegensatz zu einem naturwissenschaftlichen Weltbild. Das „Böse“ entsteht letztendlich nur durch die Weigerung der Menschen, an „Gott“ zu glauben und in seinem Sinne zu handeln. „Gott“ ist also nur noch ein abstrakter Gedanke, der selbst nicht fähig ist zu handeln. In der Konsequenz kann man den Gottesbegriff also gleich komplett fallen lassen.
Türk zitiert die „Doppelfrage“ des Boethius „“Wenn es Gott gibt, woher Übles und Böses? Wenn es Gott nicht gibt, woher das Gute?“ und gibt seine Antworten:
„Auf die erste Frage lautet die theoretische Antwort: Ich weiß es nicht. Auf die zweite aber gibt es eine andere Antwort: Wenn kein Gott ist, dann gibt es letztlich kein Gutes, vor allem für die Zu-kurz-Gekommenen, die Erniedrigten, Gemarterten, die Toten. […] Mit der Leugnung Gottes verschwindet der Adressat des Protestes, den der biblische Glaube bekennt. Die Anklage hat kein Gegenüber, sie wird zur bloßen Klage.“
Bei aller Kritik an Türks Beitrag: bis hierher war die Argumentationskette einigermaßen logisch begründet. Nun jedoch beendet er sein Skript mit dem Schluß, Gott müsse existieren, damit man einen Adressaten für eine Klage haben. Nun, das ist schon etwas schwach als Grund für die Existenz eines Gottes.
Der Schluß von Türks Text enthält nur noch religiöses Einerlei ohne jegliche eigentliche Aussage: „Gott aber ist in der Anklage gegenwärtig, in Jesus ist sie ohnmächtig und mächtig zugleich, weil er sich von Leid, Bosheit und Tod hat persönlich treffen lassen, wie in dem Lanzenstoß am Kreuz. Dabei ist er Gott geblieben und hat Auferstehung aus dem Tod und aus aller Bosheit verwirklicht und auch für uns als Ziel der Schöpfung verheißen. Damit hat er die Verantwortung übernommen dafür, daß die Schöpfung so ist, wie sie ist, unbegreiflich und doch voller Erwartung und Hoffnung auf eine endgültige Macht und Liebe, deren Vereinbarkeit wir jetzt noch nicht begreifen können, die uns aber zugesagt ist.“… Amen möchte man sagen.
In der deutschen Medienlandschaft kann man eine zunehmende Verschärfung der Argumentation gegen Atheisten und Agnostiker feststellen. Türk mit seinem Beitrag im bayerischen Rundfunk ist hier nur einer von vielen, der auf demagogische Art und Weise den Konfessionslosen unterstellt, kämpferisch und sogar militant zu sein, um damit atheistische und agnostische Menschen im Ansehen der Gesellschaft zu diskreditieren. In meinen Augen ist dies schlicht und einfach schlechter Stil. Aber es funktioniert leider in den dafür empfänglichen Kreisen der Bevölkerung.
In dem Beitrag heißt es, die Anzahl der Atheistenverbände in den letzten hundert Jahren zurückgegangen sei. Es hat sicher seinen Grund, dass diese lange Zeitspanne gewählt wurde und nicht z.B. der Zeitraum seit Gründung der Bundesrepublik. Haben nicht die Nazis – keine 100 Jahre her – Atheisten- und Freidenkerorganisationen aufgelöst?
Die Anschläge vom 11. September 2001, die zur Schau getragene Religiosität der Bush-Regierung und der aggressive Kreationismus in den USA haben sicher nichts damit zu tun. Da kann man sich halt nur wundern.
Letzter Kommentar: Oh Gott, diese Sendung ist so schlecht – wenn ich Gott wäre, würde ich diejenigen, die das unter dem Titel „Katholische Welt“ gesendet haben, zuur Hölle schicken, weil es so peinlich ist.
Wa soll denn ein „selbstkritischer Wahrheitsanspruch“ sein?
Es gilt hier die Faustregel: Wenn ein christlicher Theologe oder Apologet behauptet, wes gibt keine (rationale) Erklärung (oder: das ist ein „Geheimnis“ bzw. „Mysterium“), dann bedeutet das, dass es tatsächlich eine klare Antwort gibt, die allerdings anders ausfällt, als es die Kirche gerne hätte. Z.B. lässt sich die Frage nach dem Bösen in der Welt logisch klar so beantworten, dass es angesichts desselben eben keinen Gott geben kannn, der gleichzeitig allwissend, allgütig und allmächtig ist. Punktum.
Danke für Deine Kommentare. Ich denke, der Beitrag im bayerischen Rundfunk ist für Menschen gemacht, die Glauben wollen.
http://www.gkpn.de/theodizee.html